Sommerausstellung im DOMFORUM: Der Kölner Dom und „die Juden“ – Auseinandersetzung mit Antijudaismus
5. Juli 2021; ksd
Köln. Aus Anlass des Gedenk- und Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ –und in Köln – ist die diesjährige gemeinsame Sommerausstellung der Kölner Dombauhütte und des DOMFORUMs dem Thema „Der Kölner Dom und ,die Juden‘. Zur christlichen Sicht auf das Judentum“ gewidmet (Laufzeit bis zum 22. August verlängert). Dabei geht es auch um die Auseinandersetzung mit christlichem Antijudaismus.
Weithin sichtbar prangt sie an der Kölner Kathedrale: die sogenannte „Judensau“. Eine Sau, die statt eines Ferkels einen Mann säugt, der durch einen spitzen Hut eindeutig als Jude erkennbar ist. Jahrhundertelang mussten Jüdinnen und Juden sich durch spezielle Kleidung wie solche Hüte ausweisen, wurden dadurch auf den ersten Blick erkennbar – und angreifbar. Der Wasserspeier ist nicht die einzige Darstellung der „Judensau“ am Dom.
Zu beschönigen gebe es nichts, so Weihbischof Rolf Steinhäuser bei der Eröffnung der Ausstellung vor der Presse: „Im geliebten Dom gibt es viele judenfeindliche Kunstwerke.“ In Stein, Glas und Holz sowie in Malerei spiegeln sich Hass und Menschenverachtung. Für fast 2000 Jahre „vergaßen“ Christen, dass die Wurzel des Christentums im Judentum liegt – und dass Jesus Jude war und als Jude gelebt hatte. Ihr Antijudaismus führte jahrhundertelang zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und brutaler Verfolgung von Jüdinnen und Juden. Die Folgen reichen bis heute: der christlich verwurzelte Antijudaismus wirkt im zeitgenössischen Antisemitismus nach.
Erschreckende Zeugnisse von Judenhass im Kölner Dom
Zu den judenfeindlichen Darstellungen im Dom zählen verschiedene Darstellungen der „Judensau“. Seit dem Spätmittelalter wurde die diffamierende Darstellung häufig in und an christlichen Kirchen verwendet. Sie zielt auf eine Verhöhnung und Ausgrenzung von Juden. Weil Schweinefleisch im Judentum als unrein gilt, wurden Juden oft in intimem Kontakt mit Schweinen gezeigt, um sie herabzuwürdigen. So saugt ein Jude auch in einer Szene im Chorgestühl des Domes an den Zitzen einer Sau – eines der gängigsten Schandmotive.
Ein weiteres Beispiel: Am Dreikönigenschrein findet sich die Geißelung Jesu durch zwei Juden – und nicht wie in der Bibel berichtet durch römische Soldaten. Hier zeigt sich die christliche Diskriminierung von Juden als „Gottesmörder“. Steinhäuser sprach mit Blick auf die Schreinszene von „Geschichtsleugnung“. Er räumte ein, dass diese Darstellung bislang kaum in den Blick genommen worden sei, auch wenn man oft am Schrein vorbeilaufe.
Auch das heute noch als Verschwörungstheorie lebendige Motiv des Ritualmords, bei dem Juden (christliche) Kinder „opfern“, wurde in der Kathedrale aufgenommen. Bis heute ist es eine der Wurzeln von Antisemitismus, Verfolgung und Bedrohung jüdischer Menschen.
Das beschämende Kinderfenster
Unfassbar ist aber anderes: Nur wenige Jahre nach dem Holocaust, der systematischen Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden, und der versuchten Vernichtung jüdischen Lebens durch die Deutschen und ihre Verbündeten wurde für den Kölner Dom das sogenannte Kinderfenster geschaffen. Es zeigt unter anderem Juden in stereotyper Darstellung, mit sogenannten, vermeintlichen „ Rassemerkmalen“ in der Physiognomie, wie sie auch von den Nazis propagiert worden waren.
Darüber hinaus findet sich die Szene, wie Judas Jesus für einen – überdimensionierten – Beutel voll Geld verrät. Hier spiegelt sich das Motiv vom raff- und geldgierigen Juden. Auch dieses mit dem Charakter und der DNA von Juden in Verbindung gebrachte Stereotyp ist bis heute lebendig und Teil des Mythos um die „zionistische Weltverschwörung“. Ihre Kernbotschaft: Juden wollen die Weltherrschaft an sich reißen – unter anderem durch die Kontrolle von Banken und Konzernen sowie die Steuerung von Politikern.
Besonders problematisch am Kinderfenster ist aber eine Szene, die eine Kölner Mutter zeigt, die mit ihren Kindern vor den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs flieht. Die Nähe zu den Szenen mit Judas „greift die Lüge der NS-Propaganda auf, die Luftangriffe in Deutschland seien das Werk jüdischer Hintermänner“, schreibt Matthias Deml in der zur Ausstellung neu erschienenen Broschüre „ Der Kölner Dom und ,die Juden‘. Ein thematischer Rundgang“. „Dass solche Darstellungen noch in den 1960er-Jahren möglich waren und von den damaligen Verantwortlichen entweder nicht erkannt oder nicht beanstandet wurden, ist erschreckend und beschämend zugleich“, so Deml.
Beitrag zur Aufarbeitung
Die Kirche fühle sich der kritischen Auseinandersetzung mit dem christlichen Antijudaismus und den antijüdischen Werken im Dom verpflichtet, schreibt Dompropst Msgr. Guido Assmann im Geleitwort der Broschüre. Der neue Rundgang, der aktuell Teil der Domführungen ist, und die Ausstellungen sollen einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. „Wir sind spät dran“, räumte der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Professor Dr. Jürgen Wilhelm, bei der Eröffnung ein.
Auf jüdischer Seite gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie mit den judenfeindlichen Werken umgegangen werden sollte, schreiben Bettina Levy und Abraham Lehrer vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln in ihrem Geleitwort. Während die einen fordern, die antisemitischen Installationen zu entfernen, plädieren andere dafür, sie exakt zu benennen sowie für Besucherinnen und Besucher leicht auffindbar zu machen. Damit würde eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erleichtert. Und Geschichte könnte so sichtbar bleiben und damit auch eine Mahnung für Gegenwart und Zukunft sein.
Wilhelm plädierte ebenfalls für den Erhalt der antijüdischen Werke im Dom. Er könne verstehen, wenn sie für jüdische Menschen unerträglich seien, doch der Erhalt und kritische Umgang damit führe zu einer nachhaltigen gesellschaftspolitischen Bildung.
Der künftige Umgang mit dem Kinderfenster sei noch nicht entschieden, hieß es bei der Eröffnung. Im Dom soll aber ein eigens geschaffenes zeitgenössisches Kunstwerk die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Antijudaismus fördern. Derzeit läuft dazu ein Ideenfindungsprozess.
Jüdische Wurzeln des Christentums bewusst machen
Die Ausstellung will den Finger aber nicht nur in die Wunden der Vergangenheit legen. Sie soll den Blick auch neu auf die jüdischen Wurzeln des Christentums lenken. „Das Christentum ist ohne das Judentum nicht vorstellbar“, so Weihbischof Steinhäuser.
Zudem beleuchtet die Schau die Geschichte und das Verhältnis von Juden und Christen in Köln. Sie zeigt auch, dass Kölner Jüdinnen und Juden mit bürgerschaftlichem und kulturellem Engagement die Stadt prägten und förderten.
Einen epochalen Wandel in der Haltung der katholischen Kirche zum Judentum habe erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) vollzogen. So ist die letzte der vier Stelen, welche die Ausstellung bilden, dem heutigen Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Judentum gewidmet. Dieses sei von Schritten der Aussöhnung und des respektvollen Miteinanders geprägt.
Solidarisch an der Seite der Glaubensgeschwister
Das bekräftigt Kölns Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine: „Die wechselvolle Geschichte von Juden und Christen zeigt sich gerade auch an unserem Dom, bis hinein ins 20. Jahrhundert mit dem sogenannten ,Kinderfenster‘ “, sagt er. „Ich bin sehr dankbar, dass die katholische Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihr Verhältnis zum Judentum eindeutig geklärt und dargestellt hat.“ Seitdem betont die Kirche das Band und den Bund der Liebe, den Gott mit den Juden ebenso unverbrüchlich geschlossen hat wie mit den Christen. Kleine erinnert auch an Papst Johannes Paul II., der die Juden als „ältere Brüder“ der Christen bezeichnete. „Ich bin froh, dass das Miteinander mit den älteren Geschwistern auch das Verhältnis der Religionen in unserer Stadt bestimmt“, ergänzt Kleine.
Deshalb sei er auch dankbar, dass mit der Ausstellung und der Publikation die Aufarbeitung der Vergangenheit vorangebracht werde. Der Stadtdechant richtet den Blick aber auch in die Gegenwart, in der Antisemitismus und Antijudaismus in Teilen der Gesellschaft seit einigen Jahren wieder zunehmend erstarken, und in die Zukunft. „Wir müssen uns jetzt gemeinsam gegen Vorurteile, Klischees und jede Form von Rassismus und Antisemitismus engagieren“, mahnt Kleine. „Was in der Vergangenheit jüdischen Menschen angetan wurde, auch von jenen, die sich Christen nannten, darf sich niemals wiederholen. Darum müssen wir jetzt immer wieder neu unsere Stimme erheben, wo Jüdinnen und Juden bedroht und verfolgt werden und wo Antisemitismus und Antijudaismus zu Verbrechen und Gewalt führen. Wir stehen und bleiben in Solidarität an der Seite unserer jüdischen Glaubensgeschwister.“
Autorin: Hildegard Mathies
Info
Im Jahr 2021 wird daran erinnert, dass mit einem Dekret des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 belegt wird, dass es bereits damals jüdisches Leben in Köln beziehungsweise in Deutschland gab. Das Dekret gilt als erste urkundliche Bestätigung dafür.
Die Ausstellung „Der Kölner Dom und ,die Juden‘. Zur christlichen Sicht auf das Judentum“ ist bis zum 15. August im DOMFORUM zu sehen (Domkloster 3) Geöffnet: Montag bis Samstag, 9.30 bis 17 Uhr; Sonntag, 13 bis 17 Uhr.
Zur Ausstellung ist eine Broschüre erschienen, die alle Texte und Bilder der Stelen enthält. Sie ist im DOMFORUM für 3 Euro erhältlich.
Zudem bietet das DOMFORUM während der Laufzeit der Ausstellung öffentliche Führungen zu den Orten im Dom an. Eine verbindliche Anmeldung ist erforderlich unter fuehrung@domforum.de
Begleitend zur Ausstellung ist im Kölner Domverlag neu erschienen: „Der Kölner Dom und ,die Juden‘. Ein thematischer Rundgang“; 40 Seiten, 4,50 Euro. Erhältlich im Domshop, DOMFORUM, über den Kölner Domverlag sowie im Buchhandel.
Veranstaltung
„Ostentative Ahnungslosigkeit – Der Antisemitismus im Kinderfenster des Kölner Doms“ ist Thema einer Veranstaltung mit Dr. Bernd Wacker, Initiator der AG „Der Dom und die Juden“ (siehe Hintergrund). Sie findet statt am Montag, 30. September, um 19 Uhr im Haus der Evangelischen Kirche, Kartäusergasse 9-11. Eine Anmeldung ist erforderlich unter info@karl-rahner-akademie.de oder anmeldung@melanchthon-akademie.de
Wacker hat intensiv zum Kinderfenster geforscht und stellt seine Erkenntnisse bei der Veranstaltung vor. Im Anschluss ist eine Podiumsdiskussion geplant. Mit dabei: Professorin Dr. Michaela Geiger, Vorsitzende der Fachgruppe Christen und Juden in der Evangelischen Kirche im Rheinland, Patrick Bahners, Journalist der FAZ, und ein namentlich noch nicht bekanntes Mitglied der Synagogen-Gemeinde Köln.
Die Veranstaltung wird getragen von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der Karl Rahner Akademie, dem Katholischen Bildungswerk Köln und der Melanchthon Akademie.
Hintergrund
Die Idee zu der Ausstellung stammt aus der Arbeitsgruppe „Der Dom und die Juden“. Im Jahr 2016 nahm die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kontakt mit dem damaligen Dompropst, Prälat Gerd Bachner, auf. Bei einem gemeinsamen Treffen wurde die Initiierung der AG beschlossen. In dieser AG wirken Vertreter der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, der Synagogen-Gemeinde Köln und des Kölner Domkapitels mit. Eingebunden ist auch Dombaumeister Peter Füssenich. Ziel ist es, den Umgang mit den antijüdischen Artefakten im und am Kölner Dom zu diskutieren und geeignete Formate der Auseinandersetzung mit ihnen zu entwickeln.
Stichwort Antijudaismus
Unter Antijudaismus versteht man christliche Judenfeindschaft. In der Antike und im Mittelalter waren hetzerische Schriften und Predigten der Kirche verantwortlich für die Verbreitung von Judenhass. Juden wurde vorgeworfen, dass sie Jesus nicht als Messias anerkennen, und sie wurden des Gottesmordes beschuldigt. Seit dem 4. und 5. Jahrhundert sind auch tätliche Übergriffe auf Synagogen und Juden bekannt. Ab dem 6. Jahrhundert wurden antijüdische Verbote und Vorschriften erlassen, wie beispielsweise, dass Juden und Christen nicht gemeinsam essen durften, interreligiöse Heirat verboten war und auch eine Kennzeichnung durch einen „Judenhut“ oder „Judenfleck“ zur Pflicht wurde. Juden war es auch nicht erlaubt, sich in Zünften zu organisieren, handwerkliche Berufe auszuüben oder Land zu erwerben. Dies drängte viele Juden in kaufmännische Berufe sowie in den Kredithandel, der Christen von der Kirche untersagt war. Es gab immer wieder Missionsbestrebungen, welche die Juden zum Christentum bekehren wollten, und Judenfeindschaft wurde auch Teil der Volksfrömmigkeit. Wiederkehrende antijudaistische Vorwürfe und Legenden wie die, dass Juden Brunnen vergifteten, Ritualmorde an Christen verübten, geschäftlichen Wucher trieben und Jesus lästerten hatten ihren Ursprung in Sozialneid und Unwissen über das Judentum, jedoch auch in antijudaistischer Propaganda der Kirche. Oft kam es durch sie zu Pogromen und Verfolgungen. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden Juden und Jüdinnen aus England und Frankreich sowie im 15. Jahrhundert aus Spanien und Portugal vertrieben. Antijudaismus als historische Voraussetzung des neuzeitlichen Antisemitismus.
Quelle:
SIG-Factsheet (Auszug) – Schweizerischer Israelitischer
Gemeindebund,
www.swissjews.ch
Im Beitrag auf Radio Köln lädt Kölns Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine dazu ein, die Ausstellung zu besuchen. Und er ruft dazu auf, sich gemeinsam gegen Antisemitismus zu engagieren.
In einem weiteren Beitrag auf Radio NRW erklären Stadtdechant Kleine und der stellvertretende Leiter des DOMFORUMs, Harald Schlüter, die Hintergründe der Ausstellung – und warum das Thema gerade heute so wichtig ist.