Neujahrsgottesdienst der ACK: „Gottes Treue trägt! Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“
5. Februar 2024; ksd
Köln. Mit einem Gottesdienst und anschließenden Austausch bei Brot und Wein ist die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Köln ins neue Jahr gestartet. „Gottes Treue trägt!“ lautete das Leitthema Ende Januar in der evangelischen Antoniterkirche in der Schildergasse. „Diese Zusage gilt dem Volk Israel“, stellte die ACK Köln-Vorsitzende Pfarrerin Susanne Beuth in ihrer Begrüßung fest. „Nach dem 7. Oktober (2023, dem Tag der Terror-Angriffe der Hamas – Anm. der Redaktion) schien es uns richtig, das Jahr 2024 mit dem Nachdenken über diese Zusage zu beginnen“, begründete die Superintendentin die Themenwahl. Dabei gelte es „zu fragen, in welcher Verantwortung wir die geistliche Gemeinschaft der Kirchen mit dem Volk Israel gestalten“ .
Im Römerbrief habe der Jude Paulus „seine christlichen Brüder und Schwestern aus der Vielfalt der Völker, die zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben“, ermutigend aufgefordert: „Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“ Diese Vielfalt spiegele sich auch in „unserer ACK“, fuhr Beuth fort.
Den Gottesdienst prägten zahlreiche Gebete, darunter ein starker Fürbitten-Block. Der evangelische Pfarrer i. R. Dr. Rainer Stuhlmann bewies einmal mehr seine Fähigkeiten als Prediger. Zum Verhältnis von Christen und Juden sprach Thomas Gruner ein Bußgebet. In der katholischen Tradition, so der Referent von Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, werde es dem 1963 verstorbenen Papst Johannes XXIII. zugeschrieben. Aber vermutlich habe es jemand anderes verfasst. Aus diesem Gebet spreche „tiefe Trauer über die Verfehlungen der Kirche in ihrem Verhältnis zum Judentum über die Jahrhunderte“. Im Tagesgebet wandte sich Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger an den treuen Gott, der Israel zu seinem Volk erwählt und einen ewigen Bund mit ihm geschlossen habe zum Zeichen des Heils unter den Völkern. Seigers Bitte: „Erhalte uns dein Erbarmen und die Hoffnung auf dein Reich, in dem alle deine Kinder dich loben werden in Ewigkeit.“
Bronzeplastik „Synagogue and Church in our time“
Zuversichtlich stimmt in diesem Zusammenhang die Bronzeplastik „Synagogue and Church in our time“ (Synagoge und Kirche in unserer Zeit) des jüdischen Künstlers Josua Koffman, die vor einer katholischen Universität in Philadelphia steht und auf dem Plakat des diesjährigen Neujahrsgottesdienstes abgebildet war. Bevor Pfarrer Dr. Martin Bock, der Ökumene-Beauftragte im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, das Kunstwerk wertschätzend und anschaulich erläuterte, erinnerte er an die „Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum“ aus dem letzten Jahrzehnt. Überschrieben mit „Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen“, habe diese weltweit Aufmerksamkeit erregt. Darin bekunden die Verfasser, dass sie „den Willen unseres Vaters im Himmel tun“ möchten, „indem wir die uns angebotene Hand unserer christlichen Brüder und Schwestern ergreifen“. Weiter betonen sie, dass Juden und Christen als Partner zusammenarbeiten müssten, „um den moralischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen“.
Die Erklärung erscheint Bock wie ein Kommentar zu Koffmans Plastik. Zunächst erinnerte der Theologe und Leiter der Melanchthon-Akademie an die „alte Sicht“ des Verhältnisses der Christen zu den Juden. An die vielen Bildwerke, mit der die einen die anderen diffamierten. Verbreitung gefunden seit dem Mittelalter und weit darüber hinaus habe ein „klassisches Bild“. In diesem würden Kirche und Synagoge mittels zwei gegenüber gestellten Frauengestalten symbolisiert: Die Kirche mit erhobenem, gekröntem Haupt, die auf die Synagoge mit ihrem gesenkten Kopf und verbundenen Augen abschätzig herabblickt. Als „ganz anders“ bezeichnete Bock Koffmans Gegenentwurf. In dessen Werk säßen zwei Menschen vertrauenvoll beisammen und begegneten sich auf Augenhöhe. „Erstaunlich ist, dass sie jeweils nicht in ihre eigenen Texte blicken“, arbeitete Bock heraus, sondern interessiert, wissbegierig in die der jeweils anderen Person.
Internationaler Kunst-Wettbewerb zur Aufarbeitung antijüdischer Darstellungen im Kölner Dom
„Solche Kunstwerke, die uns zu eigenem Nachdenken anregen und motivieren wollen, gibt es nur sehr wenige auf der Welt“, meinte Bock. Ein in unserer Zeit die christlich-jüdische Beziehung behandelndes Werk dieser Qualität gebe es – „wenn es gut geht“ – bald auch im Kölner Dom, blickte der Theologe voraus. Dafür hat das Domkapitel einen Künstler-Wettbewerb initiiert. Es handelt sich laut Bock um „ein weitgehend“ ökumenisches Projekt, in dem auch die evangelische Kirche eine Stimme hat. Wie dieses Werk aussehen werde, wisse heute noch kein Mensch zu sagen.
Rainer Stuhlmann, Jahrgang 1945, predigte beeindruckend wie eingehend über den zu Beginn „in der uns geläufigen Form vorgetragenen“ Psalm 24. Aber in dessen Urtext stehe vieles ganz anders, gab der langjährige Schulreferent in Köln und Studienleiter im internationalen ökumenischen Dorf Nes Ammim im Norden Israels zu bedenken. Daher machte Gregor Stiels, Vorsitzender des Katholikenausschusses in der Domstadt, zunächst mit der Übersetzung des Psalms in der Bibel in gerechter Sprache vertraut. Nach Psalm 24 gehöre entgegen der Überzeugungen von jüdischen Siedler*innen, muslimischen und christlichen Palästinenser*innen das Land nicht ihnen, verdeutlichte Stuhlmann. „Das Land ist des Herrn“, heiße es mit den beiden Wörtern „L'adonaj Haaretz“ zu Beginn des biblischen Gebetes.
„Gott ist parteilich für die Opfer“
Damals wie heute relativiere der Satz die Besitzansprüche aller Juden, Muslime und Christen. „ Das Land gehört mir, sagt Gott, und ihr seid meine Mieter*innen“, formulierte Stuhlmann. Sie sollten sich an den Mietvertrag halten und mit den anderen Mieter*innen in Frieden und Gerechtigkeit leben. Diese Einsicht sei inmitten der Thora fest verankert im 3. Buch Mose Kap. 25, Vers 23. Nach der Rückkehr des Volkes Gottes aus dem babylonischen Exil vor zweieinhalbtausend Jahren habe dieser alte Satz eine neue Kraft erhalten, erläuterte Stuhlmann. Seitdem meine „Haaretz“ nicht allein das gelobte Land, sondern alle Länder – die Erde, den Erdkreis, den Erdball.
Im Exil hätten Juden und Jüdinnen einen Blick für die weite Welt bekommen. „Die Erde gehört Gott“ – diese Erkenntnis weise alle menschliche Macht und Besitzansprüche in Schranken. Die Erde gehöre Gott, „auch wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht“. Seine Treue sei ihr gewiss. „Nicht erst das Christentum, nein, das Judentum ist die Religion mit Welthorizont, stellte Stuhlmann heraus. „ Der Gott Israels ist der Schöpfer und Bewahrer des Universums. Und umgekehrt: Der Herr des Universums ist der Gott Israels.“
Stuhlmann wies auf einen interessanten Aspekt hin. Danach laute im ursprünglichen Wortlaut des Psalms die Frage nicht, wer zum Gottesberg Zion hinaufziehen dürfe, sondern „wer geht da rauf, wer oder was ist da zu finden“. Aber wenn Gott der Herr des Universums sei, wozu brauche er dann den kleinen Berg Zion? Und mache das Universale nicht das Besondere des Judentums überflüssig? „ Christlicher Antisemitismus in Kirche und Theologie bedient sich bis heute dieser Logik“, gab der Prediger, von 2019 bis 2020 kommissarischer evangelischer Propst zu Jerusalem, zu bedenken. Aber für das Judentum sei der Gott des Universums nicht ein namenloses höheres Wesen, kein Unparteiischer im Himmel. „Der Gott behält auch als Herr der Welt sein Profil. Er ist parteilich. Parteilich für die Opfer.“ Mit der Erwähnung des Zion werde Gottes Wahl für die Kleinen und Kleingemachten geografisch fixiert, so Stuhlmann. Zugleich universalisiert. „Er ist parteilich für die Opfer aller Völker.“ Auch ohne den (in Trümmern liegenden) Tempel sei der Berg Zion der Ort von Gottes Heiligkeit.
Gottes Gegenwart in der Welt
Stuhlmann kennzeichnte den Gott Israels als eine lebendige, bewegliche Gottheit, die auf Allmacht verzichte, „weil sie ihre Macht mit ihren Geschöpfen teilt“. Sie lasse sich von ihren Geschöpfen überraschen, gewähre ihnen auch Raum für Torheiten. Dieser Gott nutze seine Macht, indem er sich selbst beschränke und klein mache. Den Zion nannte Stuhlmann den Ort eines außerordentlichen Gottesdienstes. Er sei ein Berg der Bescherung. Nichts sei mitzubringen, sondern alles zu empfangen: „Gnade und Wahrheit, Segen und Gerechtigkeit, heilsame Unterbrechungen unseres gnadenlosen und von Fake und Verlogenheiten geprägten Alltags.“ Eingeladen seien alle Völker. Alle Menschen dürften kommen, „wie sie sind. Aber sie bleiben nicht wie sind. Der Dienst Gottes verwandelt sie“, stellte der Prediger fest. Dort würden sie zu Menschen, die Gott suchten, sich irritieren ließen. Oder, zitierte Stuhlmann die Übersetzung der jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig, zu „Menschen mit leeren Händen und offenen Herzen“. Sie würden zu an Gott zweifelnden, verzweifelnden und mit ihm kämpfenden Menschen. Zu solchen mit mehr Fragen als Antworten.
Der Treue Gottes gewiss, suchten Menschen nach Zeichen dieser Treue. Sie fragten angesichts der Leere an heiligen Orten nach dem Ende seines Selbstentzugs, so der Prediger. Sie suchten ob seiner Unsichtbarkeit nach Gottes Gegenwart in der Welt. Und fragten mit Blick auf die vielen Übel, „warum tust du nicht, was du kannst?“.
„Was können die Völker, was können wir von Gottes Volk lernen“, so Stuhlmann. „Wir als Juden haben es manchmal schwer mit den Christen“, erinnerte er die Aussage einer orthodoxen Jüdin in Israel. „Und heute haben wir es schwer mit vielen Muslimen. Aber sie sei Christen und Muslimen von Herzen dankbar, dass sie den Glauben an diesen einen Gott in der ganzen Welt verbreitet hätten.„ Wenn der Selbstentzug Gottes die leeren Heiligtümer zu Orten des Suchens nach und des Wartens auf die Fülle Gottes macht, ensteht eine heilsame tätige Wartegemeinschaft“, sagte Stuhlmann. „Die Verbundenheit und Gemeinschaft all derer wird bestärkt, die nach Gott fragen, auf Gott warten, die nah Frieden suchen und darum heute schon auf dem Weg des Friedens leben.“
Stuhlmann habe Funken geschlagen für die Reparatur der Welt, dankte ihm stellvertretend für die Gemeinschaft der ACK Ökumene-Pfarrer Dr. Martin Bock. „Diese Funken sollen weiter wirken und uns wärmen“, bat er unter dem Applaus der Anwesenden. Dank sagte der Pfarrer auch der mitwirkenden Diakonin Anne Geburtig von der Diakonie Michaelshoven. Seit 2004 habe sie Monat für Monat das zum Jahreswechsel eingestellte Ökumenische Abendgebet an der Antoniterkirche verantwortet. In dieser Zeit sei in der Ökumene sehr viel passiert. Bock sprach von Eiszeiten und wärmeren Perioden. „ Einfacher ist es nicht geworden.“. Gleichwohl habe Geburtig mit einigen Unterstützenden immer wieder die vielen Farben der Ökumene erblühen lassen. Das Ökumenische Abendgebet wird künftig in dieser Form nicht mehr stattfinden.
Autor: Engelbert Broich
Die Predigt können Sie nachlesen auf www.oekumene-koeln.de