Dritter Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine: „Wir wollen Frieden aus ganzem Herzen und ganzer Seele“
20. Februar 2025; ksd
UPDATE (24. Februar 2025):
Es sind die Kuscheltiere auf dem Asphalt, im strömenden Regen, die an diesem Abend das Grauen greifbar machen. Wieder. An diesem 24. Februar, dem dritten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, findet vor dem Kölner Dom erneut eine Kundgebung und Demo statt, die jeden und jede daran erinnern soll, dass seit drei Jahren Krieg herrscht im Osten Europas. Ein Krieg, der nach der Überzeugung vieler Menschen ein Krieg für die Freiheit in ganz Europa ist. Und der schon viel früher begann, nicht erst vor drei oder zehn Jahren, sodern vor Jahrhunderten. Der Verein Blau-Gelbes Kreuz hat zu der Kundgebung eingeladen und Vertreter sowie Vertreterinnen aus Politik und Kirche unterstützen das Anliegen. Zu ihnen gehören neben der stellvertretenden NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker auch Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger und Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine.
Vor jedem Tierchen leuchtet eine LED-Kerze. Wie in jedem Krieg sind die Schwächsten, die Kinder, die tragischsten Opfer – auch wenn jeder einzelne und jede einzelne Tote „ein Opfer zuviel“ ist… Mehr als 2500 Kinder wurde nach Angaben von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bislang getötet oder verwundet in diesem Krieg. Jedes fünfte Kind hat jemanden verloren. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Opfer im Kindesalter um 50 Prozent – und dies seien nur die offiziell erfassten Opfer, so Unicef.
Für die rund 1500 Menschen auf dem Platz nicht zu erkennen, aber für die Menschen in Bühnennähe, gibt es noch ein weiteres herzzerreißendes Detail: Am Bühnenrand ist eine Girlande aus weißen Papierengeln befestigt. Jeder Engel trägt einen Namen. Ein Geburtsdatum. Ein Sterbedatum. Es sind die Namen und Lebensdaten von Kindern und Jugendlichen, die im Frieden hätten aufwachsen sollen, die spielen sollten, lernen, lachen, leben.
„Niemand will den Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer“
Stadtdechant Msgr. Robert Kleine zitiert zunächst aus der Rede von Großerzbischof Sviatoslav Shevchuk aus Kyjiv/Kiew, die dieser im vergangenen Jahr beim St.-Michaelsempfang der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin gehalten hat, dem traditionellen Jahresempfang der DBK, bei dem Politik, Kirche und Gesellschaft einander begegnen. Das Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche hatte damals laut Kleine unter anderem gesagt:
„Zehn Jahre sind seit dem ersten Angriffsakt in Form der Annexion der Krim und des russischen Kriegs im Donbass vergangen. Im jetzigen Stadium hat sich der Krieg nun in einen Marathon verwandelt, in dem die Ukrainerinnen und Ukrainer permanent im Sprinttempo laufen müssen, um in diesem Todesrennen nicht geschlagen zu werden. Ich bitte Sie, mit uns zu laufen, schnell, standhaft und furchtlos.
An der äußersten Unbarmherzigkeit und Niedertracht der geopolitischen genozidalen Absichten und des neoliberalen Plans Russlands kann kein Zweifel bestehen. Unser Volk weiß, was russische Besatzung bedeutet: massenhafte Entführung unserer Kinder, Vergewaltigung unserer Frauen, Zwangseinberufungen unserer Männer in die russische Armee, die ihre eigenen Brüder und Schwestern tötet. Und Aufzwingung einer russisch-faschistischen Identität für unsere Jugend.
Putin stiftet jetzt bewusst Chaos und Spaltung in Gesellschaften, die ihren humanitären Verpflichtungen noch nachkommen und Flüchtlingen Schutz gewähren. In all diesen Situationen haben russische Soldaten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, für die Putin sie demonstrativ mit hohen militärischen Ehren dekoriert hat.
Wie kann Putin gestoppt werden? Es ist die Gnade Gottes zusammen mit unserer moralischen Klarheit, Einigkeit im Mut und entschlossenem Handeln, die Putin dazu zwingen kann und wird, von seinen erklärten Plänen, mein Volk, mein Land und meine Kirche zu zerstören, abzulassen. Die seine Versuche, eine auf Gesetzen und Menschenechten gründende Völkerrechtsordnung auszulöschen, vereitelt. Die uns die Kraft geben wird, diese aufrechtzuerhalten.
Niemand will den Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer. Nach unserer Befreiung vom Roten Reich haben wir uns aufgemacht und uns den Demokratien in Europa und der Welt angeschlossen, für die Freiheit, Gerechtigkeit und die Achtung der Rechte und die Würde von Menschen und Völkern als Tugenden maßgeblich sind.
Wir haben in der Ukraine auf einzigartige, visionäre Weise zum Aufbau von Frieden und Freiheit in der Welt beigetragen. Die Ukraine hat das moralische Recht zu erwarten, dass die anderen Garantiegeber zusammen mit der gesamten demokratischen Welt helfen, unsere Souveränität zu schützen und unsere territoriale Integrität wieder herzustellen.
Die jüngsten Beschlüsse in unserem Land haben friedliche Machtübergaben von einem Präsidenten zum nächsten durchgeführt, bis Russland unseren demokratischen Kreislauf durch den Versuch, seine autokratischen Methoden durchzusetzen, unterbrochen hat.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer streben und sehnen sich wie niemand sonst nach Frieden. Wir wollen Frieden aus ganzem Herzen und ganzer Seele – aber einen gerechten Frieden, weil nur ein gerechter Frieden authentisch und nachhaltig sein wird.“
„Russland schachert mit Angst und Schrecken“
Kleine zitierte auch die deutschen Bischöfe: „Sollte der Kreml seine Kriegsziele erreichen,
steht zu befürchten, dass er seine revisionistische Politik einer Wiederherstellung des russischen
Imperiums mit militärischen Mitteln fortsetzt. Ja, Russland schachert mit Angst und Schrecken. Es
droht den westlichen Bevölkerungen einen direkten militärischen Konflikt mit der Nato an. Russland
schüchtert mit Szenarien von einem dritten Weltkrieg ein, schürt im Westen Angst und Panik. Angst
erzeugt oft trügerische Hoffnungen und dunkle Pläne. Solche Trugbilder sind aus mehreren Gründen
gefährlich.“
Scham angesichts des Verhaltens von Donald Trump und verschiedener deutscher Parteien
Mit Blick auf die Bundestagswahl am Tag zuvor und im Rückblick auf den Wahlkampf davor fand der Stadtdechant dann noch einmal deutliche Worte:
„Liebe Ukrainerinnen und Ukrainer, liebe Kölnerinnen und Kölner, ich bin dankbar, dass die demokratischen Parteien unserer Stadt, des Landtages und des Bundestages klar zur Ukraine stehen. Und es erschüttert mich zutiefst, dass es insgesamt drei Parteien gab, die in einigen Ländern auch große Stimmenzuwächse hatten – eine von ihnen ist zum Glück nicht in den Bundestag gewählt worden –, die nicht auf Ihrer Seite stehen, sondern die sich dem russischen Präsidenten andienen. Es ist widerlich! Ich nenne sie: AfD, Linke und BSW“, so Kleine unter viel Applaus und Pfiffen gegen die genannten Parteien. „Wer es nicht wagt, auf Fragen in Talkshows vor der Bundestagswahl zu sagen, ob Russland den Krieg begonnen hat, der sollte sich wirklich schämen!
Liebe Kölnrinnen und Kölner, ich sage auch liebe Schwestern und Brüder im Glauben, wofür ich mich auch schäme: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass der Präsident – demokratisch gewählt – einer oder der führenden westlichen Welt, nämlich der amerikanische Präsident, sich mit einem Diktator treffe möchte, und einen gewählten Präsidenten eines souveränen Staates als Diktator bezeichnet. Ich kann es nicht glauben, dass Donald Trump die vage Idee hat, sich am 9. Mai mit dem russischen Präsidenten zu treffen, der der ist, der einen Angriffskrieg begonnen hat, der ein Kriegstreiber und Kriegsverbrecher ist. Und ich kann mir nur wünschen, dass Donald Trump einen Tag mal, eine Stunde nicht Golf spielt, sondern sich mit Elon Musk die Bilder der Kinder anschaut (die neben der Bühne projiziert waren – Anmerkung der Redaktion) und deren Biographien und dann überlegt, was und wie er in Riad verhandeln will!“
„Entschlossen und fest an der Seite des ukrainischen Volkes“
Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger bekräftigte, dass die demokratischen Parteien und die Kirchen „entschlossen und fest und mit wachem Gewissen an der Seite des ukrainischen Volkes, das solches Leid tragen muss“. Seit drei Jahren leiden Kinder, Frauen und Männer unter diesem schrecklichen Angriffskrieg, unzählige mussten ihre Heimat verlassen, ihre Häuser, Schulen, Betriebe, Kindergärten. Krankenhäuser wurden zerstört, so Seiger weiter. Im weiteren Wortlaut:
Sie leben in dauernder Angst vor Drohnenangriffen und Bombardierungen. Unzählige Soldaten und Zivilisten sind getötet oder aufs Schlimmste verletzt worden. Nicht nur am Körper, sondern auch an ihrer Seele.
Die Ursache ist einzig und allein der Eroberungswille des russischen Staates. Es ist für alle Ukrainer und für alle Europäer der Kampf um die Souveränität eines freien Landes gegen militärische Aggression. Das Völkerrecht ist in diesem Fall eindeutig, aber es wird – das müssen wir schmerzhaft wahrnehmen – nicht geachtet. Für dürfen nicht zulassen, dass Wahrheiten verdreht werden, wie das gegenwärtig geschieht von amerikanischer und russischer Seite.
Was können Christenmenschen angesichts dieses Elends tun? Sie können stehen auf der Seite der leidenden Bevölkerung und der ukrainischen Soldaten und zum Beispiel die Arbeit des Blau-Gelben Kreuzes unterstützen nach Kräften. Denn es ist eine unermüdliche, liebevolle, treue Arbeit der Unterstützung, die Sie leisten. Und sie können die Maßstäbe, die unverbrüchlich gelten in Erinnerung rufen. Und sie können für die Opfer und für einen gerechten Frieden und für Freiheit in der Ukraine beten.
Manche von euch, von Ihnen kennen vielleicht die Jahreslosung für das Jahr 2025, ein Wort aus der Heiligen Schrift, das einen in allen möglichen Situationen in diesem Jahr zur Orientierung dient: „Prüfet alles und behaltet das Gute. Meidet das Böse in jeder Gestalt.“ Zwei einfache kurze Sätze. Darüber können wir nachdenken, auch mit dem Blick darauf, wie es weitergeht. Was höre ich, das Böse ist nicht zu leugnen. Es bricht sich Bahn im Töten, wenn der Krieg ein Eroberungskrieg ist. Das Böse ist am Werk, wenn Menschen brutal umgebracht werden und gequält werden, wie es in der Ukraine vielfach in erschreckender Weise geschehen ist. Der Internationale Menschengerichtshof wird diese Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Sie sind unstreitig. Das Böse ist am Werk, wenn in der Propaganda Fakten verdreht werden und die Ukraine als Urheber eines Krieges hingestellt wird. Warheit, Wahrhaftigkeit ist gefragt. Das Böse ist am Werk, wenn das Völkerrecht gebrochen wird und aggressive Gewalt aus einer Position der Stärke heraus gerechtfertigt werden soll. Das ist Unrecht.
„Meidet das Böse in jeder Gestalt“, sagt uns das Bibelwort. Die Mahnung ist klar. Und was sich in den nächsten Wochen als böse herausstellt oder als klug – ich glaube, wir wissen es noch nicht. Die Mahnung des Paulus „Prüfet alles und behaltet das Gute“ lese ich so: Prüft gründlich, bleibt nüchtern. Welche Wege zu Frieden und Gerechtigkeit führen, das können wir immer wieder nur in Demut fragen. Und was wir tun können, als Christinnen und Christen, ist beten. Wir können nicht zuviel beten, denn wenn man in der Not steht und die eigene Ohnmacht spürt, ist das eine Möglichkeit, uns an den zu wenden, der dieses Leben schuf, dieses wunderbare Leben, was uns allen geschenkt ist, und der es bewahren will.
Schöpfer und Bewahrer des Lebens, wir rufen dich an mit der Bitte um Frieden und um Gerechtigkeit. Wir sehen das Leiden und den Kampf des ukrainischen Volkes. Sei du bei denen, die ihr Land, ihre Freiheit und die Demokratie mit Waffen und mit leidenschaftlicher Vaterlandsliebe verteidigen. Schenke du ihnen Vertrauen und Zuversicht und Ausdauer. Wir bitten dich für uns und andere auf allen Seiten des Konfliktes um waches Sehen und Hören und ein waches Gewissen, sodass wir erkennen, was deine Sicht, Gott, auf diese schreckliche Lage ist. Wir bitten dich: Schenke dem ukrainischen Volk Zuverisicht und Hoffnung.
Hildegard Mathies
Die Rede von Großerzbischof Sviatoslav Shevchuk wurde auszugsweise und teilweise paraphrasiert wiedergegeben. Den ganzen Text könne Sie hier nachlesen.
Köln. Am Montag, 24. Februar, jährt sich zum dritten Mal der Angriff Russlands auf die Ukraine. Aus diesem Anlass findet um 18 Uhr eine Demo mit Kundgebung auf dem Roncalliplatz am Kölner Dom statt. Zu den Teilnehmenden beziehungsweise Rednerinnen und Rednern gehören die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubauer, Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger und Stadtdechant Msgr. Robert Kleine sowie der Verein Blau-Gelbes Kreuz. Wir laden herzlich zur Teilnahme ein!