75 Jahre Robert-Grosche-Kreis: Ein Ökumeniker der ersten Stunde
26. Januar 2021; ksd
I. Robert Grosche, Studentenseelsorger, Land- und Stadtpfarrer, Kölner Stadtdechant und Domkapitular (1888-1967), war ein dialogfreudiger Mensch und „Ökumeniker der ersten Stunde“. (1) Bereits in den 1920er-Jahren arbeitete er an der Vierteljahreszeitschrift „Una Sancta. Ein Ruf der Christenheit“ mit (2) und veröffentlichte 1926 seinen ersten Kommentar zum Kolosserbrief, den er als ersten Versuch eines Brückenschlags zu anderen Kirchen verstand. (3)
Als er Anfang der dreißiger Jahre Pfarrer in der Landgemeinde Brühl-Vochem wurde, begann er, sich mit der Dialektischen Theologie des 1930 nach Bonn berufenen evangelischen Theologen Karl Barth zu befassen. Grosche nahm am dogmatischen Seminar Barths an der Bonner Universität teil und Barth besuchte mit seinen Studierenden seinen katholischen Gasthörer im Vochemer Pfarrhaus. Grosche soll sich während seiner Zeit in Vochem jeden Morgen eine Stunde mit dem Römerbrief befasst haben. (4)
Zeitschrift für Kontroverstheologie
Eine Frucht seiner Nähe zur Wort-Gottes-Theologie Barths bestand dann darin, dass Grosche Anfang der vierziger Jahre einen Kommentar zum Römerbrief verfasste, der allerdings erst 1975 post mortem veröffentlicht wurde. Schon Anfang der dreißiger Jahre gründete Grosche die Zeitschrift für Kontroverstheologie „Catholica“, die er mit einem Aufsatz über „Die dialektische Theologie und der Katholizismus“ eröffnete: „Kein geistiges Ereignis dieser Zeit kann sich an Bedeutung mit dieser theologischen Selbstbesinnung messen.“ (5)
Sogar am Ende des Zweiten Weltkriegs, als der Zusammenbruch allerorten das tägliche Leben in Atem hielt, verlor Grosche die ökumenische Perspektive nicht aus den Augen. So schrieb er am ersten Tag der Gebetswoche für die Einheit der Christen, am 18. Januar 1945, in sein Tagebuch: „Die Wiedervereinigungsfrage darf auch jetzt im Krieg nicht außer acht gelassen werden. Der Krieg hat neue Begegnungen herbeigeführt. Jetzt ist es eine persönliche Begegnung vor allem der Geistlichen beider Konfessionen… Dann aber auch eine Begegnung des Kirchenvolkes.“ (6) Und am vorletzten Tag dieser Gebetswoche, am 24. Januar 1945, notiert Grosche: „Nach der Vesper spreche ich kurz über die psychologischen Voraussetzungen der Wiedervereinigung: Abbau der Missverständnisse, Überwindung des Hochmuts, ehrliche Anerkennung der bei den anderen vorhandenen Werte, Eingeständnis des durch die Kirchenspaltung bei uns selbst eingetretenen Verlustes an natürlicher Substanz.“ (6)
Der Apostelkonvent
II. Das ist der persönliche, gemeindliche und theologische Hintergrund, auf dem Robert Grosche in den ersten Monaten nach Kriegsende zusammen mit dem evangelischen Superintendenten Hans Encke, dem Kölner Vertrauensmann der Bekennenden Kirche, den Entschluss zur Bildung eines „ Ökumenisch-theologischen Arbeitskreises“ fasste, der erst nach Grosches Tod 1967 seinen Namen erhielt. Dieser Arbeitskreis traf sich erstmals während der Gebetswoche für die Einheit der Christen am 22.Januar 1946 und ist damit der älteste ökumenische Gesprächskreis in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg. Er bestand aus je sechs evangelischen und katholischen Pfarrern beziehungsweise Priestern, also einer Art Zwölferkreis beziehungsweise„Apostelkonvent“.
Man kam am ersten Montag im Monat von 10 bis 12 Uhr im Pfarrhaus an der Kirche Mariä Himmelfahrt neben dem Hauptbahnhof, Marzellenstraße 26, zusammen und exegesierte neutestamentliche Schriften im griechischen Urtext. Begonnen wurde mit der Auslegung von 1. Korinther 1,1-9. Im Anschluss an den 1. Korintherbrief wurden u. a. folgende Schriften vollständig durchgearbeitet: Apostelgeschichte, Offenbarung des Johannes, Epheserbrief, Hebräerbrief, 1. Petrusbrief, Markus- und Johannes-Evangelium. (7) Nach über 40 Jahren kam im Jahr 1988 die erste Phase des Grosche-Kreises wegen des hohen und gebrechlichen Alters der letzten Mitglieder an ihr Ende. (8)
Neubeginn und Aufnahme von Frauen
Wenige Jahre später gelang auf Initiative des Horremer Pfarrers Wilfried Paschen im Herbst 1991 die Wiederbelebung des Robert-Grosche-Kreises. Damit begann seine zweite Phase, die bis zum heutigen Tag reicht und hoffentlich auch darüber hinaus Bestand haben wird. Gleich zu Beginn dieser neuen Phase haben Pfarrer Paschen und ich einige Änderungen vorgenommen. Als Erstes haben wir den Kreis der Teilnehmenden geöffnet: das Konzept des Zwölferkreises aus ordinierten beziehungsweise geweihten Theologen wurde fallen gelassen und sofort Frauen in die Runde eingeladen. Heutzutage überwiegen sie in der Teilnehmerzahl.
Priesterweihe beziehungsweise Ordination sind ebenfalls keine Teilnahmebedingungen mehr, stattdessen Interesse an biblischen Themen und Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit. Aktuell haben wir den neutestamentlichen Kanon überschritten und das Alte beziehungsweise Erste Testament gleichberechtigt einbezogen, sodass es zu einer gesamtbiblischen Erweiterung und Bereicherung gekommen ist. Die Ursprachen Griechisch und Hebräisch sind nicht mehr konstitutiv, sondern fakultativ. Wir haben auch das Programm geändert, ganze biblische Schriften über Jahre hin zu besprechen, und wählen stattdessen ökumenisch relevante Themen, die möglichst innerhalb eines Zeitraumes von ein bis zwei Jahren zu bewältigen sind.
Vielfältige Themen
III. Folgende Themen haben wir seit dem Neubeginn des Robert-Grosche-Kreises besprochen: die Bergpredigt (1991/92), Mirjam/Maria und die Mariendogmen (1992-1994), Petrus und der Petrusdienst (1995-1997), Abraham in Judentum, Christentum und Islam (1997-2000), Bund in Israel, Qumran und mit Völkern (2000-2002), Gott und sein Volk – das Volk und sein Gott (2003-2005) (9); das Vaterunser (2005/06), das Credo (2007/08), Gleichnisse Jesu (2009), Wundergeschichten (2010), Jesus im Gespräch mit… (2011), Psalmen und Hymnen (2012/13), die dunklen Seiten Gottes (2014/15), Schöpfung und Neuschöpfung (2016), der Galaterbrief und das Reformationsjubiläum (2017), Bundesschlüsse von Noah bis Jesus (2018), Passion und Auferweckung Jesu nach Markus (2019/20). Gegenwärtig besprechen wir die Zehn Gebote und als Nächstes werden Frauengestalten in der Bibel zur Sprache kommen.
Was macht den Reiz unserer Zusammenkünfte aus? Je nach Interesse gibt ein Mitglied des Grosche-Kreises eine Einführung in den jeweiligen Text: jeder und jeder ist dazu eingeladen; niemand wird genötigt. Nach einer kleinen Pause treten wir dann in das theologische Gespräch ein. Dabei ergeben sich oft überraschende Querverbindungen und Einsichten. Meistens haben wir Mühe, nach zwei Stunden unser Beisammensein abzuschließen. Denn wir erfahren dabei etwas von der Tiefe und und Unausschöpflichkeit der Heiligen Schrift. Häufig danken wir einander für den gelungenen Vormittag und freuen uns auf das nächste Mal.
Zurzeit wechseln Thirza Zierau und ich uns in der Leitung unserer Zusammenkünfte ab. Einmal jährlich erfreut uns unser Gastgeber, der Leiter der erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule, Dr. Gunter Fleischer, mit einer sehr profunden Bibelauslegung. Der letztjährige stellvertretende evangelische Propst von Jerusalem, Dr. Rainer Stuhlmann, ist seit seiner Rückkehr ebenfalls zu unserer Runde gestoßen.
Jubiläumsfeier im Mai geplant
Nach verschiedenen Tagungsorten im Kölner Haus der Evangelischen Kirche, bei den Franziskanerrinnen und dem interreligiösen Forum in der Domstraße 18 sind wir seit einigen Jahren wieder an den Ursprungsort des Robert-Grosche-Kreises in die Marzellenstraße 26 zurückgekehrt. Dort treffen wir uns an jedem zweiten Mittwoch im Monat von 10 bis 12 Uhr. Wir freuen uns über neue Interessentinnen und Interessenten. Da wir unser 75-jähriges Jubiläum am 22. Januar 2021 wegen der Corona-Pandemie nicht begehen konnten, hoffen wir Anfang Mai auf eine Feier im wieder eröffneten DOMFORUM.
Hans-Georg Link
Anmerkungen
1. So Harald Wagner, in: Artikel Grosche, LThK 4,1995, Sp. 1063.
2. Dazu: F.-J. Hungs (Hg.), in: Robert Grosche, Kommentar zum Römerbrief, Werl 1975, S. 11.
3. Dazu H. Hofmann, Robert Grosche. Wegbereiter des katholisch-evangelischen Dialogs, in: H.-G. Link (Hg.), Kölner Ökumenisches Bibelgespräch. 60 Jahre Robert-Krusche-Kreis 1946-2006 (RGK 60), Kölner ökumenische Beiträge Nr. 52, Köln 2006, S. 10.
4. Vgl. H.-J. Hungs, a. A. O. S. 13,27 A7.
5. zitiert bei H. Hofmann, a. a. O. S. 10.
6. Robert Grosche, Kölner Tagebuch 1944-1946, Hg. M. Steinhoff, Bachem-Köln 1992, 2. Aufl., S. 93, 96 f.
7. Dazu: Hans Encke, Robert-Grosche-Kreis, in: RGK 60 (Anm. 3), S. 14 f.
8. Dazu W. Paschen, in: RGK 60, S. 17.
9. Zu allen diesen Themen liegen Zusammenfassungen vor in: RGK 60, S. 21-82.