Nicht von einer kleinen Herde der Rechtgläubigen träumen: Bischof Kohlgraf mit klarer Botschaft an die Kirche von heute
Köln. „Die Suche nach einer zeitgemäßen, gottgewollten, wirklich einladenden geistlichen und menschenfreundlichen Form der Kirche möge uns verbinden.“ Diesen Wunsch hat der Mainzer Bischof Dr. Peter Kohlgraf zur Eröffnung des Gedenk- und Jubiläumsjahres „1000 Jahre Heribert von Köln“ nach Köln gesandt. Kohlgraf wollte den Eröffnungsgottesdienst in St. Heribert, Köln, zelebrieren, musste aber wegen einer Corona-Erkrankung in seinem Umfeld absagen. Seine Predigt, in der es unter anderem um Kirche, Macht und Erneuerung ging, verlas Kölns Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine. Das Katholische Stadtdekanat Köln ist Träger des Jubiläumsjahres, das unter dem Leitwort „Gerechtigkeit. Macht. Frieden. 1000 Jahre Heribert von Köln“ steht.
Ton in der Kirche oft unbarmherzig, lieblos und bitter
Der Ton in der Kirche sei oft „unbarmherzig, lieblos und bitter“, so Kohlgraf, der selbst aus Köln stammt. Er begegne heute in der Kirche zwei Extremen, erklärte der Mainzer Bischof: „Zum einen der Versuchung zu meinen, wir erfinden alles neu, auch in der Kirche; zum anderen der Haltung, Tradition sei ausschließlich eine Art Museum, in dem wir Überliefertes unveränderlich bestaunen.“ Der heilige Heribert (um 970-1021) würde sich „über manche Dummheit von ,rechts‘ und ,links‘ in der Kirche und auch über manche Ängstlichkeit sehr wundern“. Tradition und Zeitgeist zusammen zu denken und voneinander zu lernen, wäre Heriberts Anfrage an die Kirche von heute. „Heribert hätte sich wohl sehr geärgert über Tendenzen, von einer kleinen, reinen Herde der Rechtgläubigen zu träumen“, betonte Kohlgraf.
Die Kirche ist kein Verein
In der Kirche werde viel über Macht gesprochen. „Das ist gut und sinnvoll“, sagte Kohlgraf. Man könne dies in gesellschaftswissenschaftlichen und psychologischen Kategorien tun. „Heribert erinnert uns, auch mich als Bischof, an eine ganz andere Instanz“, machte Kohlgraf deutlich: „Am Ende werde ich als Bischof Rechenschaft ablegen müssen über mein Leben und meine Amtsführung vor einem höheren Richter. Er allein ist der Herr, nicht der Bischof.“
Es komme auf die Lebensrelevanz des Glaubens an, machte Kohlgraf deutlich. „Kirche ohne Gott, ohne den Himmel, ist nicht denkbar, schon gar nicht sinnvoll. Kirche ist aber ebenfalls etwas völlig anderes als ein Verein, in den man eintritt oder nach Bedarf austritt.“ Der heilige Heribert hätte sich „über manche ausschließliche Diesseitigkeit unserer kirchlichen Praxis sehr gewundert“. Heribert, der zu seiner Amtseinführung als Zeichen der Demut barfuß in Köln eingezogen war, habe ein Gespür für die Zerbrechlichkeit menschlicher Machtansprüche gehabt.
Suche nach einer Kirche auf der Höhe der Zeit
Die Kirche sei auf der Suche nach einer Gestalt kirchlicher Theologie, Lehre und Verkündigung auf der Höhe der Zeit. „Schnell werfen bestimmte Kreise heutigen Bischöfen ,Zeitgeistigkeit‘ oder ,Anpassung an den Zeitgeist‘ vor“, so der Mainzer Bischof. „Eines kann man sicher sagen: Für Heribert waren Zeitgeistigkeit und die Treue zu Evangelium und Tradition kein Widerspruch.“
Zu Lebzeiten Heriberts erlebte die Kirche eine Blüte der Bildung und Wissenschaft, geistliche Erneuerung und eine starke Zuwendung zu den Armen. Dies habe sich unter anderem in den Klöstern als Zentren der Bildung, des Gebets und der Nächstenliebe gespiegelt. Damals kam es, auch durch Heribert in Köln, zu zahlreichen Klostergründungen. „Wir müssen uns auf die Suche machen nach geistlichen Orten, Zentren, in denen Menschen fähig gemacht werden, einen gebildeten Glauben mit festen Wurzeln zu entwickeln“, betonte Kohlgraf. Das müsse mehr sein als satzhaftes Glaubenswissen. „Manche unserer kirchlichen Orte und Gemeinden sind solche Quellen nicht mehr. Es ist nicht leicht, das zu akzeptieren. Wir müssen hier nach neuen Wegen suchen.“
Sensibilität für geistlichen Machtmissbrauch
„Es ist dabei gut, dass wir auch für das Thema des geistlichen Machtmissbrauchs sensibel geworden sind“, so Bischof Peter Kohlgraf weiter. Solche geistlichen Orte könnten nicht von Menschen gelebt werden, „die schon immer wussten, was für andere gut ist“. Geistliche Wege müssen gefördert werden, „aber in dem Sinne, dass es so viele Wege zu Gott gibt, wie es Menschen gibt“ zitierte er Papst Benedikt XVI.
Eine gute Zukunft gestalten
Der heilige Heribert sei von seinem Wirken her „eine sehr aktuelle Person und Persönlichkeit“, sagte Stadtdechant Msgr. Robert Kleine. Er hoffe, dass die Kirche und die Gläubigen diese „markante, bedeutende Persönlichkeit der Bistums-, aber auch der Stadtgeschichte“ mit ihren unterschiedlichen Facetten neu kennenlernen. Heribert habe seine Macht – als Bischof wie als Politiker, als Kanzler des Kaiserreichs – nicht missbraucht und zum eigenen Vorteil oder Wohle eingesetzt, hatte Kleine bereits im Rahmen der Auftakt-Pressekonferenz erklärt.
Heribert habe seine Macht für Gerechtigkeit und Frieden eingesetzt und im karitativen Bereich als Erzbischof von Köln Maßstäbe gesetzt. „Hier kann er uns als Kirche, aber auch als Gesellschaft Vorbild sein“, so Kleine, „und das über Köln und über Deutschland hinaus. Wir brauchen Gerechtigkeit, damit es Frieden gibt.“ Geschichte strahle immer aus in die Gegenwart und in der Vergangenheit liege „eine Wurzel, mit der wir dann versuchen können, eine gute Zukunft zu gestalten“, sagte Stadtdechant Kleine im Eröffnungsgottesdienst. „Wir sagen heute Dank, besonders auch für diesen großen Bischof.“ Der bereits kurz nach seinem Tod als heilig verehrte Heribert „gibt uns Mut in der Kirche, in der Gesellschaft und in der Ökumene gemeinsam voranzuschreiten für Gerechtigkeit und Frieden“, ist Kleines Botschaft für das Jubiläumsjahr. Und sein Wunsch: „Dass wir alle daran arbeiten – wie und wo es auch immer in unserer Macht steht.“
Jubiläumsjahr 2021/2022
Das Katholische Stadtdekanat Köln feiert gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern das Gedenk- und Jubiläumsjahr „1000 Jahre Heribert von Köln“ aus Anlass des 1000. Todestages (16. März) des früheren Kölner Erzbischofs (Amtszeit 999-1021). Zu den weiteren Trägern gehören das Erzbistum Köln und die Pfarrgemeinde St. Heribert, Deutz; zu den Kooperationspartnern die Griechisch-Orthodoxe Kirchengemeinde Köln – „Entschlafen der Gottesgebärerin“ –, die Kölner Domschatzkammer und das Katholische Bildungswerk Köln.
Bis zum 16. März 2022 sind zahlreiche Veranstaltungen geplant. Höhepunkte werden die Prozession mit dem Heribertschrein, einem der wichtigsten Zeugnisse der spätromanischen Goldschmiedekunst, über den Rhein zum Kölner Dom und das Pontifikalamt mit dem Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, am Sonntag, 29. August, sein sowie die Sonderausstellung in der Kölner Domschatzkammer und der Schatzkammer an St. Heribert, Deutz (26. August bis 14. November).
Statt Bischof Dr. Peter Kohlgraf hatte kurzfristig der Propst am Wormser Dom, Tobias Schäfer, den Eröffnungsgottesdienst des Jubiläumsjahres in St. Heribert gefeiert. Er schlug damit auch die Brücke zwischen Heriberts Geburtsort Köln und seinem Wirkungsort Köln. Auf YouTube können Sie den Eröffnungsgottesdienst weiterhin abrufen.
Die Predigt von Bischof Dr. Peter Kohlgraf gibt es hier zum Nachlesen. Und hier im Video.