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Ein Hungertuch aus Heribert-Flachs: Textilkunst-Projekt „Tuch – Wasser – Erde“ zum Heribert-Jubiläumsjahr: Die Saat geht auf

Im Pfarrgarten von St. Heribert in Deutz ist jetzt das Textilkunst-Projekt „Tuch – Wasser – Erde“ mit der Künstlerin Veronika Moos in seine erste Phase gestartet.
Flachs-Aussaat zum Jubiläum „1000 Jahre Heribert von Köln“. V. li.: Veronika Moos, Diakon Hans Gerd Grevelding, Pfarrer Jürgen Dreher.
Datum:
26. Apr. 2021
Von:
Hildegard Mathies

Köln. „Fällt hier auch genug Sonne hin?“ Das ist die wichtigste Frage für die Kölner Künstlerin Veronika Moos, als sie am Samstagmorgen eine Freifläche an St. Heribert in Deutz in Augenschein nimmt. Die braune Erde ist vorbereitet, um die Leinsaat aufzunehmen, die Moos in Reagenzgläser füllt und an die Helfer austeilt. Pfarrer Jürgen Dreher, Diakon Hans Gerd Grevelding, Dr. Angelika Fürst vom Katholischen Bildungswerk Köln und Jens Hüttenberger vom Verein „deutzkultur“ werden an diesem Tag mit Hand anlegen. Mit der Aussaat von Flachssamen im Garten des Gotteshauses geht das Textilkunst-Projekt „Tuch – Wasser – Erde“ in seine erste Phase. Aus Anlass des Gedenk- und Jubiläumsjahres „1000 Jahre Heribert von Köln“ gibt es eine Kooperation mit der Künstlerin, die unter anderem für ihr internationales Lein-Projekt „Von der blauen Blume“ bekannt ist. 2019 erhielt sie dafür den MANUFACTUM-Staatspreis NRW für Kunsthandwerk. Am Ende soll aus dem Flachs ein Hungertuch entstehen.

Wenn alles gutgeht, wird der „Heribert-Flachs“ sich schon nach rund drei Monaten in den Deutzer Himmel recken und erntereif sein. Ausgesät wird in zwei mal sieben Reihen, was an die sieben Gaben des Heiligen Geistes (Sakramente) und vor allem auch an die Fülle und Vollendung der Schöpfung durch Gott sowie die vollkommene Erlösung des Menschen durch Jesus Christus erinnert. Spontan entschließt man sich nach einem Impuls von Jens Hüttenberger, noch eine 1000 für das Jubiläumsjahr des heiligen Heribert auszusäen.

Heriberts Bittprozession für Regen

Der frühere Kölner Erzbischof (999-1021) soll sich der Überlieferung nach auch um die Fruchtbarkeit der Böden gesorgt und um Regen gebeten haben. Nach einer Bittprozession soll es dann auch geregnet haben. Darüber hinaus hat er mit der Gründung der Abtei Deutz dafür gesorgt, dass sich die rechte Rheinseite zu einem blühenden Stadtteil entwickelte. So lag es für die Träger des Jubiläumsjahres – das Katholische Stadtdekanat Köln, die Deutzer Pfarrgemeinde St. Heribert und das Erzbistum Köln – sowie ihre Kooperationspartner nahe, ein Projekt ins Leben zu rufen, welches das Bewusstsein für die Schöpfung verstärkt. Darüber hinaus geht es der Künstlerin auch um die Gemeinschaft von Mensch und Natur sowie die Gemeinschaft der Menschen untereinander. Denn traditionell wird Flachs in der Gemeinschaft verarbeitet. Jede Flachsfläche bildet außerdem einen gemeinschaftlich bearbeiteten und genutzten sozialen Raum, so die Künstlerin.

Wenn der Heribert-Flachs auf Deutzer Boden und im Kölner Klima gut gedeiht und wenn Corona es zulässt, soll das Projekt ausgeweitet werden. Dann sollen Kitas, Schulen, andere Gemeinden oder mit der Pfarrei verbundene Bauern dafür gewonnen werden, ebenfalls Flachs anzubauen und zu ernten. Denn um ein Hungertuch für die Fastenzeit 2023 zu weben, wird reichlich Flachs benötigt. Ein Stängel erwächst aus einem Samenkorn – und nicht aus jedem Samenkorn wird etwas. Gerne picken etwa Vögel die Saat aus dem Boden. Um aus Flachssträngen einen entsprechend großen Leinenstoff für ein klassisches Hungertuch von 7,40 mal 4,40 Meter herzustellen, benötigt man eine ganze Menge Flachs: Wenn man von einem Ertrag von rund 288 Gramm pro Quadratmeter ausgeht, werden für ein Hungertuch etwa 7,2 Kilo Flachs benötigt. Pro Quadratmeter Tuch werden etwa 220 Gramm Flachs benötigt. Wie groß das Hungertuch sein wird, das Veronika Moos aus dem Heribert-Flachs produziert und in welcher Machart, ist allerdings noch offen und wird sich im Verlaufe des Projektes zeigen.

Eine der ältesten Naturfasern der Welt

Flachs gilt als eine der ältesten Naturfasern und wurde bereits in der Steinzeit, im alten Ägypten und nach neueren Erkenntnissen womöglich schon vor rund 30.000 Jahren verwendet. Er benötigt ein eher maritimes Klima mit einem Wechsel aus Sonne und Regen und nicht zu heißen Temperaturen. Und eben viel Sonne. „Die Pflanze streckt sich immer zum Licht“, erklärt Veronika Moos, „das finde ich auch als Symbol sehr schön.“ Ohne Licht, ohne die Sonne gibt es kein Leben auf der Erde.

Die Verarbeitung von Flachs zu Leinstoff ist aufwendig und war traditionell eine Gemeinschaftsarbeit. Die reifen Pflanzen werden mitsamt der Wurzel aus dem Boden gezogen, in der Fachsprache „gerauft“. Anschließend werden sie zunächst getrocknet und die Samenkapseln abgestreift, „geriffelt“. Die dabei abfallenden Kapseln werden als neues Saatgut oder Leinsaat weiterverwendet.

Um einzelne Faserbündel zu isolieren, werden die gebündelte Pflanzen zur sogenannten „Röste“ (von niederdeutsch röten für faulen) in stehendes oder langsam fließendes Wasser („Wasserröste“) gelegt oder, in taureichen Gebieten, auf dem Feld ausgebreitet („Tauröste“). Pilzkulturen lösen dann Holz- von Faserteilen. Im Wechsel von Sonne, Tau und Regen wird der Flachs mürbe, die Röstreife wird erreicht und die Ernte kann eingefahren werden.

Auch die weitere Verarbeitung ist aufwendig: die gebündelten Stängel werden geklopft und gebrochen, Rinden- und Holzteile werden herausgeschlagen („schwingen“). Dann zieht man die Stränge über ein Nagelbrett, um die Fasern parallel auszurichten („hecheln“) und die unterschiedlich langen Fasern voneinander zu trennen. Daraus wird dann das Leinengarn gesponnen und am Webstuhl zu einem Leinenstoff verwebt. Interessant: die moderne Technik ist nicht in der Lage, den Leinenstoff so fein herzustellen, wie es mit den alten Sorten und der alten Handwerkskunst möglich war.

Von der Windel bis zum Totenhemd

Im Mittelalter war Flachs ein wertvolles Handelsgut und wurde je nach Verarbeitung zum Luxusprodukt und zum Stoff der Könige und Kaiser. Es gab blühende Leinengewerbe, vor allem in Gebieten, in denen Flachs klimatisch gut gedieh, so etwa in Westfalen und Schwaben sowie in den heutigen Nachbarländern Belgien und Niederlande.

Leinen wurde dann zum Alltagsstoff und wurde in allen Bereichen des täglichen Lebens benutzt: von der Windel bis zum Totenhemd begleitete es den Menschen hautnah. Die Holzteile aus dem Innern der Pflanze wurden zum Heizen benutzt. Die Leinsaat und das aus ihr gepresste Leinöl sind bis heute ein begehrtes Nahrungs- und Stärkungsmittel. Auch in der Medizin wurde und wird Leinen verwendet. Nicht zuletzt spielte und spielt Leinen eine wichtige Rolle für die Kultur: die Gemälde des Mittelalters wären längst verblichen, hätten sie die Künstler nicht mit Leinölfirnis vor den Zeichen der Zeit geschützt.

Die Saat geht auf

Ende Mai zeigt sich: der viele Frühlingsregen ist gut für das Projekt: In den ausgesäten Reihen sprießen viele zarte grüne Pflänzchen. Sie nähren die Hoffnung auf ein erfolgreiches Projekt zum Kölner Heribertjahr.

Mitarbeit: Dr. Angelika Fürst.

Quellen:

Wolfgang Franke: Nutzpflanzenkunde: Nutzbare Gewächse der gemäßigten Breiten, Subtropen und Tropen – Stuttgart; New York 1985.
Gesamtverband Leinen: www.gesamtverband-leinen.de

Mehr über die Künstlerin Veronika Moos und ihre Arbeit unter: www.veronika-moos.de

 

Aussaat und Fortschritte des Heribert-Flachses